Differenzierte Auseinandersetzung mit dem Mantelerlass.
Kurzfazit des VAS: 'Wir sind im Zwiespalt'.
Der Mantelerlass, oder genauer gesagt das ''Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien'' in Kombination mit den entsprechenden Verordnungen zur Umsetzung dieses Gesetzes-Paketes, dies alles beschäftigt Politik, Behörden, Branchen und Verbände zunehmend bis zum kommenden Eidgenössischen Abstimmungstermin am 9. Juni 2024.
Es war und es ist die hehre Absicht des VAS, sich stets objektiv, sachlich und differenziert allen neuen Gesetzen und Verordnungen anzunehmen und keinesfalls pauschalisierend geschweige denn polemisierend auf die Befugnisse von Politik und Stimmbevölkerung Einfluss zu nehmen.
Der Inhalt, der Umfang und die Bedeutung dieses Mantelerlasses, vor allem aber auch die Rückmeldungen unserer Mitglieder dazu, rufen hingegen geradezu nach einer besonderen Würdigung dieser Materie und entsprechenden Verlautbarungen dazu auch von Seiten des VAS.
Dieses möchten wir hiermit gerne in folgenden drei Rubriken tun:
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Rubrik A) Öffentliche Verlautbarung und Stellungnahme des VAS zum Mantelerlass.
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Rubrik B) Ergänzende Würdigung und komprimierte Betrachtung zum Mantelerlass durch den VAS-Vorstand.
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Rubrik C) Versuch einer auch für ein breiteres Publikum verständlichen Auseinandersetzung sowie einer persönlichen Einschätzung durch die VAS-Geschäftsstelle.
Rubrik A) Öffentliche Verlautbarung und Stellungnahme des VAS.
Der Verband Aargauischer Stromversorger (VAS) anerkennt genauso wie der Dachverband Schweizer Verteilnetzbetreiber (DSV) die Notwendigkeit, die erneuerbaren Energien in der Schweiz auszubauen und die Versorgungssicherheit zu verbessern.
Jedoch bereits während der parlamentarischen Debatte hatten VAS und DSV die Parlamentarierinnen und Parlamentarier mehrfach und mit Nachdruck auf verschiedene Bestimmungen aufmerksam gemacht, mit denen weder das Ziel des Ausbaus erneuerbarer Energien noch das Ziel einer verbesserten Versorgungssicherheit erreichet werden können. Viele Bestimmungen bewirken hingegen eine Erhöhung des Strompreises für die Konsumentinnen und Konsumenten eine sowie eine massive Überregulierung und Bürokratisierung mit höherer Kostenfolge auch für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
In dieser gemeinsamen Verlautbarung wird dabei ganz speziell hingewiesen auf fünf Gesetztespunkte und deren besonders unausgewogene Auswirkungen. Es sind dies die Punkte:
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Effizienzsteigerungen
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Standardstromprodukt
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Beschaffungsvorgaben
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Netzverstärkungen
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Lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG)
Anbei die öffentliche Verlautbarung und Stellungnahme des VAS per 25. April 2024.
Rubrik B) Ergänzende Würdigung und komprimierte Betrachtungen zum Mantelerlass durch den VAS-Vorstand.
Kurzfazit: 'Es folgen höhere Strompreise und ein Eingriff des Staates in die Datenhoheit der Bürger'.
Am 9. Juni stimmen wir über Änderungen in der Energie- und Stromgesetzgebung ab, welche die erneuerbaren Energien fördern sollen. Neben der Förderung der erneuerbaren Energien werden gleichzeitig neue Änderungen in die Gesetze eingebaut, welche nur in schwachem Zusammenhang mit der Förderung der erneuerbaren Energien stehen und deren Wirkungen fragwürdig sind. Denn zwei Dinge sind dabei gewiss:
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Diese Neuerungen verteuern den Strompreis zusätzlich. Doch solche Punkte werden der Öffentlichkeit leider nicht offengelegt und daher auch nicht diskutiert.
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Neben den Auswirkungen auf den Strompreis holt sich der Staat Zugriff zu den 15-Minuten Stromlastgängen, was einen massiven Eingriff in die Privatsphäre der Bürger darstellt.
Anbei die zusammenfassende Würdiung des VAS-Vorstandes per 25. April 2024.
Rubrik C) Versuch einer auch für ein breiteres Publikum verständlichen Auseinandersetzung sowie einer persönlichen Einschätzung durch die VAS-Geschäftsstelle.
Wir sind im Zwiespalt. Dabei sagen wir als Erstes gleich klipp und klar vorneweg. Wir als Verband genauso wie keiner unserer Verteilnetzbetreiber will als Verhinderer, als Nörgler, als Ewiggestriger dastehen. Die Wichtigkeit von geostrategischen Überlegungen, d.h. ganz generell weniger Abhängigkeit von russischem Gas genauso wie von arabischem Erdöl, ist unbestritten. Die Wichtigkeit von wirtschaftlichen Überlegungen, d.h. ganz konkret mehr Wertschöpfung im Inland, ist hier anerkannt. Die Wichtigkeit von ökologischen Ambitionen, d.h. ganz konkret sorge zur Umwelt und weniger CO2-Ausstoss, ist hier nicht bestritten. In diesem Sinne bewegen sich alle unsere Aargauer Elektrizitätswerke im Rahmen ihrer Möglichen bereits in Richtung Zubau erneuerbarer Energien. Gewiss einverstanden, im Vergleich mit dem grenznahen Deutschland oder Österreich hätte dies auch etwas schneller anlaufen können. Doch wo möglich, wo rentabel, wo bewilligt, da wird erneuerbar ausgebaut und ebenso umsichtig werden Netze modernisiert und verstärkt. So weit, so gut.
Doch worauf gerade wir Verteilnetzbetreiber, d.h. die lokalen Elektrizitätswerke, unbedingt auch aufmerksam machen möchten, das sind folgende störenden Punkte:
Vergleich mit der Stockwerkeigentümergemeinschaft
Bildlich gesprochen ist ein Elektrizitätswerk vergleichbar mit einem Mehrfamilienhaus und einer Stockwerkeigentümergemeinschaft. Alle Bewohner nutzen gemeinsam eine Infrastruktur. Alle Leistungen und Kosten werden nach möglichst fairen Kriterien vereinbart und verteilt. Zum Lift zum Beispiel tragen alle bei, die im Erdgeschoss manchmal etwas weniger. Erlaubt man nun - vergleichbar zum Mantelerlass mit den erneuerbaren Energien - dass ein zusätzlicher Stock mit Wohnungen oben drauf gebaut werden darf, dann macht sowas heutzutage durchaus Sinn. Wenn man diesen Wohnungen dann hingegen per Gesetz ermöglicht - im Mantelerlass eine eigene Photovoltaik namens ZEV oder LEG - in unserem Beispiel einen eigenen Lift zu bauen, wofür sie dann jedoch das bestehende Treppenhaus kostenlos oder kostenvergünstig nutzen dürfen und den bestehenden Lift, immer dann, wenn der eigene nicht reicht, auch noch jederzeit nutzen dürfen, hierfür aber nur genau die Fahrten zahlen, die genutzt werden, den Rest bezahlt die Gemeinschaft allein, dann ist so eine Entsolidarisierung offensichtlich stossend. Im Mantelerlass hingegen der neue Standard.
Vergleich mit der Krankenkasse
Bildlich gesprochen ist die Stromversorgung auch vergleichbar mit dem Gesundheitswesen. Ähnlich wie eine jederzeit hinreichende Stromversorung ist auch eine jederzeit hinreichende, zumindest minimale Gesundheitsversorgung, Ausdruck für unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Selbstverständnis. Dafür hat sich in den Krankenkassen das Prinzip von Grundversicherung gepaart mit Privat- und Zusatzversicherungen etabliert. Die Grundversicherung soll unabhängig vom Lieferanten für alle gleich sein, soll so zumindest eine Befriedigung aller Grundbedürfnisse garantieren, kann nur so dafür auch einigermassen bezahlbar bleiben. Wer Edleres will, der wählt mehr und der bezahlt mehr. Mit dem Mantelerlass hingegen werden in der Grundversorgung von Strom bereits zwingend edelste erneuerbare Energien zugemischt, von denen wir nota bene wissen, dass wir im Winter sowieso eher zu wenig haben, was kurz- und mittelfristig für Konsumentinnen und Konsumenten vor allem eine Folgewirkung hat, nämlich dass die Kosten und die Preise weiter steigen. Von der Bürokratie ganz zu schweigen.
Vergleich mit der Tankstelle
Wir alle verwenden Energie. Benzin, Diesel, Heizöl, Erdgas, Strom. Strom ist dabei in der Schweiz derjenige Energieträger, der am wenigsten zum CO2-Ausstoss beiträgt. Verkehr (mit Benzin und Diesel) und Gebäudeheizungen (mit Heizöl und Gas) tragen wesentlich höher zur Umweltbelastung bei. Dass der Mantelerlass in Sachen Förderung von Energieeffizienzmassnahmen einzig die Elektrizitätswerke mit einem Reduktionsziel von jedes Jahr -2% in die Pflicht nimmt, hingegen keine Tankstelle und keinen Heizöllieferanten, das ist stossend. Zumal, und das ist das besonders Paradoxe daran, gerade Strom als Substitution für Öl, Gas und Benzin dienen soll, siehe Wärmepumpen und E-Mobilität. Hinzu kommt, dass dort wo Energieeffizienzmassnahmen womöglich am meisten bringen könnten, nämlich bei energieintensiven Unternehmen, diese jedoch gerade von der Reichweite der Elektrizitätswerke aus dem Mantelerlass ausgenommen sind. So gut also die regulatorische Absicht gemeint ist, so störend ist die gesetzliche Umsetzung. Hier wird das Pferd beim Schwanz aufgezäumt. Es drohen Scheinmassnahmen und Bürokratiemonster, was wiederum kurz- und mittelfristig für Konsumentinnen und Konsumenten vor allem eine Folgewirkung hat, nämlich dass die Preise weiter steigen.
Vergleich mit der Geschichte
Der Aufbau und die Optimierung unserer normalerweise hervorragend funktionierenden Elekrizitätsinfrastruktur in der Schweiz hat ziemlich genau 100 Jahre an Industrialisierungsgeschichte in Anspruch genommen. Grossmehrheitlich basierend auf dem physikalisch und logisch bewährten Prinzip, dass Elektrizität von grösstenteils zentralen Grosskraftwerken über eine unidirektionale und immer feiner verästelte Verteilinfrastruktur zu jedem Endverbraucher gelangt.
Mit dem Mantelerlass jedoch stellen wir die Elektrizitätskonfiguration der gesamten Nation komplett um. Und zwar hin zu einer neu dezentralen, jederzeit und überall bidirektional verbundenen, in vielen lokalen Kleinbereichen teilautarken ‘Wolke’, die zudem auch noch flächendeckend, fehlerfrei und für jeden mit jedem kommunizierend sein soll. Weiss Gott etwas viele Pflichtparameter auf einmal.
Qualifizierte Hochrechnungen gehen allein für die notwendigen Um- und -Ausbauten der Netzte in der Schweiz von gegen 100 Milliarden Franken aus. Und wohlgemerkt, das sind nur die Netzkosten. D.h. mit dieser Summe entsteht noch keine einzige kWh mehr Strom(!). Diese Kosten kommen dann noch obendrauf.
Jemand muss für all diese Mehrleistungen bezahlen. Und dieser Jemand hat einen Namen. Es sind vor allem die nicht-privilegierten Konsument/innen und Mieter/innen ohne Möglichkeit zur Eigenversorgung.
Vergleich mit dem Dachverband VSE (Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen) und deren Verlautbarungen
Der VSE verkündet, die gesamte Branche befürworte diesen Mantelerlass. Der VSE lancierte sogar eine Initiative zur Mittelbeschaffung einer Pro-Kampagne. Das ist aufs Deutlichste nicht korrekt. Wenn am Aargauer Stromforum der AEW im März 2024 knapp 72 Prozent aller im Saal anwesenden Branchenvertreter die Frage ''Wenn heute der 9. Juni wäre, würden sie dann zum Mantelerlass ein Ja oder Nein einlegen?'' mit Nein antworten, dann repräsentiert der VSE nicht die Stimme der gesamte Branche. Wenn im gleichen März 2024 bei einer Online-Veranstaltung unseres VAS 76% unserer teilnehmenden Mitglieder dieselbe Frage mit Nein beantworten, dann repräsentiert der VSE nicht die Stimme der gesamten Branche. Man darf unterschiedlicher Meinung sein. Das ist gerade die Stärke unserers basisdemokratischen Selbstverständnisses. Doch man muss es bitte auch so klar deklarieren.
Gerade grosse Stromproduzenten und fortschrittliche Liegenschaftsbesitzer sehen mehrheitlich ein überwiegendes Interesse darin, deren grosse Vorhaben dank des Mantelerlasses erleichterter durchzubringen. Das ist deren gutes Recht. Doch Gewinne und Subventionen werden so auf wenige privatisiert, Kosten und Risiken hingegen auf eine verbleibende Allgemeinheit solidarisiert.
Den schwarzen Peter hinwiederum, all diese unschönen Stör- und Nebeneffekte einer breiten Öffentlichkeit mitzuteilen, die Anträge, die Mehrkosten, die Unzulänglichkeiten, die Verzögerungen, den haben allerdings allein wieder wir, die kommunalen Werke. Denn es geht bei aller Kritik um viel mehr als allein das liebe Geld. Jemand muss das alles vor allem auch noch bewerkstelligen. All diese Arbeiten und Investitionen müssen nicht nur finanziert werden. Sie müssen gerechnet, beantragt, bewilligt, konfiguriert, beschafft, peplant, gebaut, aufeinander harmonisiert, gesteuert, gewartet und unterhalten werden. In grösster Demut vor all diesen Aufgaben - dahinter steckt ein industrielles Generationenprojekt, welches alle eingebundenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in höchstem Masse fordern wird. Vermutlich 25 Jahre lang. Fachkräftemangel lässt grüssen.
Vergleich mit dem EU Rahmenabkommen
Ganz unabhängig von der poltischen Überzeugung haben die letzten Jahre gezeigt, dass es in der Natur der Sache wohl meist schwierig ist, ein einmal eingegangenes Rahmenabkommen weiter zu entwicklen oder nachzubessern. Verknüpfungen und Wechselwirkungen werden schnell zu komplex. Dass man aus diesen internationalen Erfahrungen nicht lernt, sondern im Gegenteil, nun auch national auf Rahmengesetze baut, hier Mantelerlass genannt, wirkt erschreckend. Es bleibt offen, ob ein so süsser Mantel nicht eher zur bitteren Zwangsjacke wird.
Persönliches Fazit
Wir sind im Zwiespalt. So richtig die Absichten auch gemeint sind. Dieser Mantelerlass öffnet erstens die Tür zu einer unfairen Umverteilung von Vorteilen zugunsten Einzelner und Nachteilen zulasten der grundversorgten Mehrheit der Endkundinnen und Endkunden, d.h. eine Entsolidarisierung von Infrastrukturleistungen, die zwar für jeden jederzeit da sein sollen, für einige hingegen privilegiert kostenbefreit oder kostenbevorzugt, für den Rest nicht. Zweitens begründet dieser Mantelerlass eine hohe bis überbordende Administrationspflicht auf die Schultern der lokalen Elektrizitätswerke. Daher muss man den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zumindest reinen Wein einschenken.
Somit empfinden wir den Aufhänger der Abstimmungsvorlage als eher irreführend. Am 9. Juni 2024 stimmen wir eigentlich nicht über ein ''Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien'' ab, sondern viel mehr über ein ''Gesetzespaket mit der Absicht einer möglichst einheimischen, möglichst erneuerbaren, hingegen noch unbekannt anspruchsvollen und teurer werdenden Stromversorgung in der Schweiz''.
Auch dieses kann man wollen. Und wir Verteilnetzbetreiber werden loyal und professionell unser Bestes dafür tun. Einzig es soll keiner nachher sagen, wir hätten nicht vor den Nebenwirkungen gewarnt.